Die Hummel



Während ich hier am PC sitze, um über unsere Hummel zu schreiben, liegt die kleine Maus bei mir unterm Stuhl. Quer. Ihre Nase zwischen meine Füsse gebohrt. Meine Sitzposition erfordert von mir fast akrobatische Künste, da ich mit meinem Stuhl ca. einen halben Meter vom Tisch entfernt bin. Aber ich würde es natürlich nie übers Herz bringen, sie zu bitten, sich doch anders hinzulegen. Nein. Lieber verrenke ich mich, als sie zu wecken… Ob wir unsere Kleine zu sehr verwöhnen? Neeeein, natürlich nicht! Für uns ist sie eben ein vollwertiges Mitglied der Familie – mit allen Rechten und keinen Pflichten.

Wenn der Wegbegleiter ein Hund aus dem Tierschutz ist, so sieht man manche Dinge auch mit anderen Augen. Hummel hatte einen schlimmen Start ins Leben (wobei man das damals wohl kaum als Leben bezeichnen konnte) - und so ist man geneigt, Ihr nun den Himmel auf Erden zu bereiten. Man tut Dinge, über die andere vielleicht den Kopf schütteln. Aber das ist uns egal.

Unser Hasenherzchen…. am 18.12.2010 hat sie ihr Körbchen bei uns aufgestellt. Hummel ist eine ausrangierte Vermehrerhündin. Das heißt, dass sie für den Vermehrer nicht von Nutzen war, da sie keine Welpen produziert hat. Zum Glück. Eine Lebensrettung für sie. Als sie von BSiN gerettet wurde, war sie abgemagert, sie hatte überall kahle Stellen, die Ohren waren zerbissen und voller Dreck. Ein Häufchen Elend….verängstigt, nicht wissend, was nun mit ihr geschieht….

Schaue ich sie mir heute an, dann glaubt man nicht, dass es die Hummel von damals ist. Wie schön sie doch ist – für mich der schönste Hund auf Erden. Ich liebe diese kleine Maus von Herzen.

Unser gemeinsamer Weg ist geprägt von Höhen und Tiefen – immer noch. Auch nach 2,5 Jahren. Aber ganz ehrlich? Ich habe unser Ja zu einem Hund aus dem Tierschutz nie eine Sekunde bereut. Nein, im Gegenteil. Ich würde es immer wieder tun.

Ja, Höhen und Tiefen…. oder anders gesagt: Fortschritte und Rückschritte. Beides gehört zusammen und macht das Leben mit Hummel aufregend, spannend, manchmal traurig, aber noch viel öfter richtig lustig! Sie bringt uns oft zum Staunen, zum Lachen und mich manchmal auch zum Weinen (meistens vor Freude). Sie kann an einem Tag eine vorwitzige, mutige, ja fast schon freche kleine Hexe sein (die sich alles essbare – und nicht essbare - von der Küchenablage klaut; mit dem Argument, dass die Versorgungssituation hier nicht zufriedenstellend wäre. Zweimal am Tag Futter sei definitiv zu wenig). Am nächsten Tag genügt dann schon ein Schatten an der Wand und sie erstarrt. Wie in Stein gemeißelt. Es gibt einige Beispiele für Hummels Ängste. Wenn der Paketbote mit den Scannergeräten kommt, piepen diese immer sehr laut. Nun weiß ich, nachdem Hummel mir einmal durch die Tür abgesaust ist, dass dieses Geräusch große Angst auslöst. Sie lief in ihrer Angst auf den Gehweg und wollte partout nicht zurück ins Haus, solange der Paketbote noch vor der Tür stand. Also bat ich ihn, rein zu kommen und sich hinter der Tür zu verstecken. Etwas verdutzt war er schon – aber er hat es getan. Aber Hummel ist ja nicht blöd – hat sie genau gesehen. Keine Chance. Erst als der Mann sich in sein Auto gesetzt und die Tür geschlossen hatte, kam sie zu mir zurück. Also schließe ich nun immer die Zwischentür wenn der Paketbote klingelt.


Überhaupt sind ihr fremde Menschen immer noch ein Greuel. Vor allem Männer. Große, ältere Männer. Bei Frauen siegt bei ihr meist die gesunde Neugier, die sie im Laufe der Zeit entwickelt hat. Auch unseren Schornsteinfeger akzeptiert sie mittlerweile. Die meisten Menschen greifen immer direkt nach ihrem Kopf, um sie zu streicheln. Ich weiß einfach nicht, wieso das die meisten so machen. Der beste Weg, einem ängstlichen Hund entgegen zu treten ist, ihn nicht zu beachten und auch nicht direkt anzusprechen. Bei Hummel funktioniert das ganz gut. Oft kommt sie dann von hinten angeschlichen und schnüffelt. Das macht sie nun immer öfter und ich bin dann total stolz auf die Kleine.

Hummel reagiert sehr sensibel auf veränderte Abläufe. Sie verträgt keine Hektik – morgens schon mal gar nicht (in der Hinsicht ähneln wir uns sehr). Ein zu schneller Schritt von mir, jegliche Anzeichen von Eile, verunsichern sie. Woher ich das weiß? Hummel ist mein zweiter Hund – aber erst bei ihr habe ich gelernt, was es heißt, einen Hund zu LESEN. Und ich habe gelernt, wie wichtig das ist. Ich glaube sogar, es ist eine unverzichtbare Voraussetzung für ein beidseitiges glückliches Zusammenleben. Ich erkenne jede kleine Veränderung an ihr – sie zeigt mit ihren Augen, mit ihrer Körperhaltung, mit der Art und Weise sich hinzulegen genau was in ihr vorgeht.

Mittlerweile spricht sie aber auch tonal mit uns. Dann brabbelt sie vor sich hin – richtig laut. Auch das Gähnen wird nun mit heftigen Geräuschen unterlegt! In den ersten Monaten hat Hummel keinen Mucks von sich gegeben. Wir wussten gar nicht, wie sie klingt. Sie war total stumm. Mucksmäuschenstill. Das erste Bellen hat mir damals die Tränen in die Augen gejagt – eine tiefe, ausdrucksstarke Stimme hat sie. Und heute? Heute gibt sie Laute von sich, da frage ich mich, woher sie das hat. Naja, für das laute Schnarchen hätte ich da schon so meine Theorie… Diese Tiefschlafphasen, mit lautem (seeehr lautem) Schnarchen hatte sie anfangs nie. Angstfreies Ruhen – das musste sie erst lernen. Ich werde nie vergessen, wie sie sich am ersten Morgen nach der ersten Nacht bei uns gefreut hat, dass wir noch da sind. Dass alles so ist, wie am Vortag. Dass ihr warmes Plätzchen auf dem Sofa noch ihres war und der Futternapf wieder gefüllt wurde. Ja, diese Freude konnte man an jedem Zentimeter ihres kleinen Hundekörpers sehen und spüren.

Überhaupt muss ich sagen, dass Hummel vom ersten Tag an unsere Nähe gesucht hat. Wenn ein Hund einzieht, so soll man ihm Ruhe geben und nicht ständig an ihm rumfuchteln. Das wussten wir und haben dies auch beherzigt. Es war Hummel, die immer zu uns kam und in unserer Nähe sein wollte. Vom ersten Tag an. Und so ist es bis heute geblieben.

Für uns wäre es zum Beispiel auch undenkbar, auch nur einen einzigen Tag ohne Hummel zu verbringen. Als wir vor einem Jahr geheiratet haben, verbrachten wir den Tag und die Nacht nicht zu Hause (der Sohn meines Mannes war aber bei Hummel). Am nächsten Morgen haben wir das geplante Nach-Hochzeits-Frühstück einfach ausfallen lassen und sind sofort nachhause zu unserer Maus gefahren. Wir konnten es nicht mehr abwarten, sie zu sehen, zu drücken, zu riechen. Es war nur ein Tag und eine Nacht – und wir haben sie schon so vermisst. Verrückt.


Als Hummel zu uns kam, kannte sie nichts. Gar nichts. Man fängt im Grunde genommen bei Null an. Eigentlich wie bei einem Welpen, denn die so wichtige Welpenphase hatte sie ja nie. Selbst richtiges Spielen musste sie erst Stück für Stück lernen, wie man am geschicktesten ein Schweineöhrchen zwischen den Pfoten hält, wie sich Schnee anfühlt, wie toll es ist, sich auf einer Wiese zu wälzen… Wir haben aber von Anfang gesagt, dass unser Hund nicht dressiert werden soll. Er muss nicht alle möglichen Kunststückchen beherrschen und alles auf Kommando ausführen. Uns war wichtig, dass Hummel erst einmal ankommt. Und das dauert. Lange. Wir waren mit Hummel auch nicht in der Hundeschule. Ganz spielerisch und fast wie von selbst hat sie die wichtigsten Dinge so im Vorbeigehen gelernt: sie kommt zurück, wenn ich sie rufe (also meistens), sie achtet bei Spaziergängen immer darauf, wo ich bin und verliert mich nie aus den Augen und sie setzt sich, bevor sie ihr Futter oder Leckerchen bekommt und sie kennt natürlich das Wort „Nein“. Und mehr muss sie auch nicht. Sie sollte ihren eigenen Kopf und einen eigenen Charakter entwickeln.
Allerdings übe ich auch immer wieder mit ihr. Denn: auch eine kleine ängstliche Hündin aus dem Tierschutz beherrscht das selektive Hören und es kommt hin und wieder eine äußerst flegelhafte Seite zum Vorschein. Das glaubt man kaum, wenn man sie so sieht. Aber im Grunde genommen freue ich mich dann – es zeigt mir, dass sie im Laufe der Zeit richtig selbstbewusst geworden ist. Und das ist gut so. Hummel ist gut so, wie sie ist.


Für mich ist sie perfekt – unser Hasenherzchen.


Jede Beziehung zwischen einem Tier und einem Menschen ist eine einzigartige Brücke, gebaut, um nur diese beiden zu tragen. Deshalb muss sie auch von ihnen selbst erschaffen werden

Suzanne Clothier